Die EU-Kommission führte in den vergangenen Jahren eine Strukturuntersuchung im Bereich des Online-Handels durch. Sie hatte kartellrechtswidrige Praktiken in diesem Vertriebssegment befürchtet (vgl. News der Wettbewerbszentrale vom 10.02.2017 // EU-Kommission leitet Untersuchung wegen Verdachts kartellrechtswidriger Praktiken im Online-Handel ein >>). Die Strukturuntersuchung kam zu dem Ergebnis, dass das Wachstum des elektronischen Handels erhebliche Auswirkungen auf die Vertriebsstrategien der Unternehmen und auf das Verhalten der Verbraucher habe, dass aktuell aber kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf bestehe (Abschlussbericht über die Strukturuntersuchung zum elektronischen Handel vom 10.05.2017, SWD(2017) 154 final).
Die Untersuchung bezog sich auf diejenigen Produktkategorien, die am häufigsten online verkauft werden: Kleidung und Schuhe, Unterhaltungselektronik, elektrische Haushaltsgeräte, Computerspiele und -software, Spielzeug und Babyartikel, Medien (Bücher, CDs, DVDs und Blu-ray-Discs), Kosmetik und Gesundheitsprodukte, Sport- und Outdoor-Ausrüstung sowie Haus- und Gartenartikel. Die Fragebögen der Kommission beantworteten 1051 Einzelhändler, 37 Marktplätze, 89 Anbieter von Preisvergleichsinstrumenten, 17 Anbieter von Zahlungssystemen, 259 Hersteller, 248 Anbieter von digitalen Inhalten, neun Betreiber virtueller Privatnetze und IP-Routing-Dienstleistungen sowie 30 große Gruppen und Hosting-Betreiber. Sie gewährten Einblick in 2605 Vertriebsvereinbarungen und 6426 Lizenzvereinbarungen für den Vertrieb digitaler Inhalte.
Die Ergebnisse der Sektoruntersuchung lassen sich thesenartig wie folgt beschreiben:
- Online-Handel verbessert die Preistransparenz.
- Online-Handel bewirkt einen verstärkten Preiswettbewerb, weil sich die Preise verschiedener Anbieter vergleichen lassen.
- Die Mehrzahl der Online-Händler verfolgt die Preisgestaltung ihrer Mitbewerber und nutzt automatische Softwareprogramme zur Anpassung der eigenen Preise mit der Folge einer automatisierten Preiskoordination.
- Online-Marktplätze erschließen den Einzelhändlern einen großen Kundenkreis und verursachen Konflikte mit den Vertriebs- und Markenstrategien der Hersteller. Diese richten verstärkt selektive Vertriebssysteme ein, um eine bessere Kontrolle in Bezug auf die Qualität des Vertriebs und den Preis zu erlangen. Dabei setzen sie auch vertikale Beschränkungen ein.
Manche Praktiken, die der Online-Handel zu Tage fördert, sieht die EU-Kommission mit rechtlichen Bedenken. Sie lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Die rechtliche Behandlung selektiver Vertriebssysteme ist vom Ansatz her nicht korrekturbedürftig. Selektiver Vertrieb erleichtert aber die Durchsetzung und Überwachung vertikaler Beschränkungen, die wettbewerbsrechtliche Bedenken aufwerfen. Die Verpflichtung zum Betrieb eines stationären Geschäfts kann zu überprüfen sein, wenn sie keine Verbindung zur Qualität des Produkts oder andere Effizienzsteigerungen aufweist.
- Preisempfehlungen sind ein wichtiges Instrument zur Kommunikation von Qualität und Markenposition. Hinweise von Einzelhändlern legen aber Praktiken der vertikalen Preisbindung nahe. Verbesserte Preistransparenz vereinfacht die Kollusion zwischen Einzelhändlern.
- Doppelpreissysteme des Herstellers für ein und denselben Händler werden als Kernbeschränkung des Wettbewerbs beurteilt.
- Absolute Verbote des Vertriebs über Online-Marktplätze sollten nicht als Kernbeschränkung angesehen werden. Das bedeutet aber nicht, dass sie generell mit den EU-Wettbewerbsregelungen in Einklang stehen.
- Geoblocking-Maßnahmen, die auf Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen von Unternehmen beruhen, unterliegen dem Kartellverbot. In selektiven Vertriebssystemen dürfen zudem weder der aktive noch der passive Verkauf eingeschränkt werden.
Aktuelle gesetzgeberische Maßnahmen hält die EU-Kommission nicht für erforderlich. Die Ergebnisse der Sektoruntersuchung wird sie aber einfließen lassen in die turnusmäßige Überarbeitung der Gruppenfreistellungsverordnung für Vertikalvereinbarungen, die im Mai 2022 ansteht.
wn
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