Der Bundesgerichtshof hat in einem Verfahren der Wettbewerbszentrale entschieden, dass für Medizinprodukte, sofern diese im Mittelpunkt der Werbung stehen, mit den Empfehlungen eines Arztes geworben werden darf (BGH, Urteil vom 01.02.2018, Az. I ZR 82/17). Er hat damit die Vorinstanzen bestätigt.
Zum Sachverhalt
Das von der Wettbewerbszentrale verklagte Unternehmen entwickelt Produkte zur Behandlung von Herz-, Kreislauf- und Gefäßerkrankungen. Zu diesen Produkten gehört unter anderem ein bioresorbierbares Gefäßgerüst zur Behandlung von koronaren Herzkrankheiten. Damit werden Gefäßverengungen behandelt, indem ein Röhrchen (Stent) in die Gefäßwand implantiert wird. Auf dem Stent ist ein Wirkstoff ausgebracht, der das Gewebewachstum kontrollieren soll. Das bioresorbierbare Gefäßgerüst löst sich im Vergleich zu herkömmlichen Stents auf, verbleibt also nicht auf Dauer im menschlichen Körper.
Das Unternehmen hat für diesen selbstauflösenden Stent auf seiner Internetseite mit einer Patientengeschichte geworben. Eine weibliche Person namens Angelika schildert die Situation nach ihrem zweiten Herzinfarkt. Nach Beratung mit dem Arzt habe sie sich für den neuen Stent entschieden. Wörtlich hieß es in dem Video:
„Dr. S. sagte zu mir, es gebe ein neues Verfahren, eine Sorte Stent, die sich auflöst … Er sagte: „Ich würde mich für die neue Variante entscheiden“.“
Die Wettbewerbszentrale hatte dies als Verstoß gegen § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HWG beanstandet, war damit aber sowohl beim Landgericht als auch beim OLG Frankfurt erfolglos geblieben. Nach dieser Vorschrift ist es unzulässig, vor Verbrauchern mit Empfehlungen von im Gesundheitswesen tätigen Personen zu werben; zu dieser Personengruppe gehören grundsätzlich auch Ärzte. Allerdings gilt das Verbot für Medizinprodukte ausdrücklich nicht (§ 11 Abs. 1 Satz 2 HWG). Die Wettbewerbszentrale hatte unter anderem argumentiert, dass die Werbung sich auf ein Verfahren bzw. eine Behandlung (Einsetzen eines Stents) beziehe und damit das Empfehlungsverbot einschlägig sei.
Bei Einstufung eines Produktes als Medizinprodukt oder Behandlung ist die Verbrauchersicht entscheidend
In dem Verfahren ging es maßgeblich um die Frage, ob es sich bei dem Video um eine Werbung handelt, in der ein Verfahren im Mittelpunkt steht (für das nicht mit Empfehlungen geworben werden darf) oder ein Medizinprodukt, für welches das Empfehlungsverbot nicht gilt. Der BGH hat sich der Auffassung des Berufungsgerichts angeschlossen; nach seiner Auffassung wird aus der maßgeblichen Sicht des Durchschnittsverbrauchers nicht für eine Behandlung, sondern für ein Medizinprodukt geworben. Entscheidend dafür ist nach Auffassung der Richter, dass das Unternehmen Arzneimittel und Medizinprodukte herstellt, aber keine Behandlungen durchführt. Zwar werde in der Werbung auf die Behandlung koronarer Herzerkrankungen hingewiesen, für die Verbraucher werde aber deutlich, dass die Beklagte nur ein Mittel für die Behandlung zur Verfügung stelle, nämlich das bioresorbierbare Gefäßgerüst. Die Darstellung der Behandlung diene nur als Rahmen, um den Einsatzzweck des Produktes zu verdeutlichen. Im Fokus steht jedenfalls nach Auffassung der Richter das Medizinprodukt mit der Folge, dass das Empfehlungsverbot für dieses Produkt nicht gilt.
Der BGH erweitert damit die Werbemöglichkeiten für Hersteller oder Vertreiber von Medizinprodukten.
Berufsrechtliche Gesichtspunkte, etwa die Frage, inwieweit ein Arzt nach seiner Berufsordnung für Produkte werben darf, waren nicht Gegenstand des Verfahrens.
(F 4 0009/15)
ck
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