Die Wettbewerbszentrale lässt in einem Grundsatzverfahren gegen ein Versicherungsunternehmen klären, ob Werbung für eine ärztliche Fernbehandlung erlaubt ist. Das Landgericht München I hatte dies im konkreten Fall verneint und der Unterlassungsklage der Wettbewerbszentrale in erster Instanz stattgegeben. Das OLG München hat die Berufung des Versicherers zurückgewiesen (OLG München, Urteil vom 09.07.2020, Az. 6 U 5180/19, nicht rechtskräftig).
Nunmehr liegen die Urteilsgründe vor.
Sachverhalt
„Bleib einfach im Bett, wenn du zum Arzt gehst. So hatte der Versicherer auf seiner Internetseite geworben und seinen Kunden den „digitalen Arztbesuch“ über eine App angekündigt. Beworben wurde dabei nicht nur Diagnose und Therapieempfehlung, sondern auch die Krankschreibung per App. Wörtlich hieß es: „Warum du den digitalen Arztbesuch lieben wirst. Erhalte erstmals in Deutschland Diagnosen, Therapieempfehlung und Krankschreibung per App.“ Bei den sogenannten „eedoctors“, die die beworbene Fernbehandlung durchführen sollten, handelte es sich nach Angaben des Unternehmens um erfahrene Ärzte in der Schweiz.
Werbeverbot für Fernbehandlung
Derartige, zum Teil hilfreiche Modelle von Arzt-Patienten-Kontakten unterliegen jedoch besonderen rechtlichen Regelungen. Unklar ist, in welchem Umfang Fernbehandlungen und die Werbung dafür erlaubt sind. Hier will die Wettbewerbszentrale durch gerichtliche Klärung für mehr Rechtssicherheit sorgen. § 9 Heilmittelwerbegesetz verbietet grundsätzlich die Werbung für Fernbehandlungen. Auf diese Vorschrift berief sich die Wettbewerbszentrale, das Landgericht teilte die Auffassung und untersagte die Werbung.
Das OLG musste sich nun mit der Neufassung dieser Vorschrift befassen, denn Ende 2019 wurde die Vorschrift ergänzt. Hintergrund der Neufassung ist die Lockerung des berufsrechtlichen Fernbehandlungsverbots. Ärzten ist nach der Musterberufsordnung Fernbehandlung im Ausnahmefall unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, und sie können „dabei Kommunikationsmedien unterstützend einsetzen“. Entsprechend wurde § 9 HWG dahingehend geändert, dass das Verbot der Werbung für Fernbehandlungen dann nicht gilt, „wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.“ Was die dort genannten Standards sind, ist vollkommen ungeklärt.
OLG München: Primärversorgungsmodelle nicht von Ausnahmevorschrift gedeckt.
Das OLG München vertritt die Auffassung, dass Primärversorgungsmodelle ohne jeglichen persönlichen Kontakt des Patienten mit dem Arzt in dieser generellen Weite und für nicht näher konkretisierte Behandlungsfälle nicht durch den Ausnahmetatbestand des § 9 Satz 2 HWG gedeckt sind. Zwar werde dem von der Werbung angesprochenen potentiellen Patienten, wie von der Beklagten geltend gemacht, grundsätzlich bewusst sein, dass im Wege einer Fernbehandlung in tatsächlicher Hinsicht nur begrenzte Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten des Arztes bestünden, also je nach Krankheitsbild weitergehende Untersuchungen und ärztliche Eingriffe erforderlich sein könnten. Die streitgegenständliche Werbung berücksichtige aber nicht, dass auch im Rahmen dieser tatsächlich eingeschränkten Möglichkeiten eine Werbung für Fernbehandlungen nicht generell zulässig sei, sondern nur unter der Voraussetzung, dass bei Einhaltung allgemein anerkannter fachlicher Standards kein persönlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen erforderlich sei im Sinne des § 9 Satz 2 HWG. „Wollte man die hier streitgegenständliche Werbung unter die Ausnahmeregelung des § 9 Satz 2 HWG subsumieren, würde das grundsätzliche Werbeverbot für Fernbehandlungen nach § 9 Satz 1 HWG im Übrigen praktisch leerlaufen.“, so das Gericht in seiner Begründung.
Krankschreibung digital
Auch Werbung für Krankschreibung im Wege der Online-Videokonsultation hält das Gericht für unzulässig, weil nach allgemeinen fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen – gerade bei Patienten, die dem Arzt persönlich unbekannt seien wie im streitgegenständlichen Fall – grundsätzlich erforderlich sei im Sinne von § 9 Satz 2 HWG.
Weiteres Verfahren der Wettbewerbszentrale
Zur Frage, ob Werbung für digitale Krankschreibungen zulässig ist, führt die Wettbewerbszentrale einen weiteren Prozess gegen ein Softwareunternehmen, das Krankschreibungen im Internet zur Bestellung anbietet. Der Kunde kann auf der Homepage des Unternehmens dort vorgegebene und auswählbare Symptome anklicken, einige Fragen zu seinem Gesundheitszustand beantworten und nach eigenem Ermessen die Dauer der Krankschreibung bestimmen („Für wie viele Tage fühlen Sie sich arbeitsunfähig? Arzt folgt Ihrem Wunsch…“). Sodann kann der Nutzer seine Kontaktdaten und die gewünschte Zahlungsmodalität angeben. Nach Zahlung erhält der Kunde die Krankschreibung, die von einem Privatarzt ausgestellt ist, digital oder per Post. Bei Testbestellungen kam es dabei zu keinem Kontakt des Kunden mit dem betreffenden Arzt. Auf der Startseite wird zudem geworben mit „100% gültiger AU-Schein“. Die Wettbewerbszentrale hat die Aussage als irreführend beanstandet, weil es umstritten ist, ob derartige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen arbeitsrechtlich anerkannt werden müssen.
Das Landgericht Hamburg hat der Unterlassungsklage der Wettbewerbszentrale stattgegeben (LG Hamburg, Urteil vom 21.07.2020, Az. 406 HK O 165/19, nicht rechtskräftig). Eine Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen im Wege der Ferndiagnose verstoße gegen die ärztliche Sorgfalt. Zudem sei die Werbung irreführend, weil dem Leser vorgetäuscht werde, dass die beworbenen Krankschreibungen ohne Arztbesuch unproblematisch gültig seien, was gerade nicht der Fall sei und insbesondere bei gesetzlich Versicherten zu Problemen führen könne.
Weiterführende Informationen
Zur Tätigkeit der Wettbewerbszentrale im Bereich Gesundheitswesen >>
F 4 0497/17 und F 4 0128/19
ck
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