In den Leitsätzen seines Urteil vom 16.06.2016 (Az. I ZR 46/15 – Sporthopaedicum) hat der Bundesgerichtshof (BGH) im Hinblick auf ein Unternehmen, das Leistungen des Orthopädietechnikerhandwerks sowohl an einem Ort in einem Sanitätshaus als auch an einem anderen Ort innerhalb einer orthopädischen Praxis erbringt, festgestellt, dass die Raumnutzung in der Arztpraxis keinen Nebenbetrieb im Sinne von § 3 Abs. 1 Handwerksordnung (HWO) darstellt, der bei einem nur unerheblichen Umfang der handwerklichen Tätigkeit vom Gebot der Meisterpräsenz befreit wäre. Nach Auffassung des BGH ist diese Raumnutzung vielmehr als Zweig- bzw. Außenstelle anzusehen, die dem Gebot der Meisterpräsenz unterliegt, wenn dort wesentliche Tätigkeiten des Orthopädietechnikerhandwerks erbracht werden. In dem Überlassen des Raumes durch den Arzt und der Duldung von Schildern, die den Weg zu diesem Raum weisen, sieht der I. Zivilsenat außerdem eine unzulässige Empfehlung im Sinne von § 31 Abs. 2 der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns (BayBOÄ).
In erster und zweiter Instanz hatte der Kläger – ebenfalls ein Sanitätshaus – vergeblich versucht, dem beklagte Unternehmen untersagen zu lassen, in den Räumlichkeiten in der Praxis bestimmte vollhandwerkliche Tätigkeiten nach dem Orthopädietechnikerhandwerk ohne Anwesenheit eines Handwerksmeisters zu erbringen. Auch mit seinem Antrag gerichtet auf Unterlassung der Entgegennahme von Patientenzuweisungen ohne hinreichenden Grund war der Kläger gescheitert. Gegen das klagabweisende Urteil das Oberlandesgerichts (OLG) Nürnberg vom 27. Januar 2015 (Az. 3 U 2001/13) hatte er daher Revision eingelegt. Der BGH hat mit Blick auf die obigen Erwägungen das OLG-Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
In der Begründung seiner Entscheidung weist der I. Zivilsenat zunächst noch einmal auf das Erfordernis der Meisterpräsenz im Gesundheitshandwerk hin. Danach muss, abgesehen von ganz engen Ausnahmefällen, in jeder Betriebsstätte ständig ein Meister zugegen sein oder zumindest binnen weniger Minuten vor Ort sein können (s. dazu auch BGH, Urteil 17.07.2013, Az. I ZR 222/11 – Meisterpräsenz). Dadurch soll verhindert werden, dass es aufgrund unzureichender Handwerkstätigkeit zu einer Gefährdung der Gesundheit der Kunden kommt. Das OLG hatte im konkreten Fall angenommen, dass die Anwesenheit eines Meisters in den Räumlichkeiten in der Facharztpraxis generell nicht erforderlich sei, weil es sich um einen vom Gebot der Meisterpräsenz befreiten Nebenbetrieb (§ 3 Abs. 1 HWO) handle, in dem eine handwerksmäßige Tätigkeit in nur unerheblichem Umfang ausgeübt werde.
Dieser Einschätzung hat sich der BGH nicht angeschlossen. Er hat vielmehr festgestellt, dass die Tätigkeit des Sanitätshauses innerhalb der Praxis weder eine nebenbetriebliche Tätigkeit im Verhältnis zur Hauptniederlassung darstellt noch eine solche im Verhältnis zu den Ärzten. Der ersten Variante steht bereits der Umstand entgegen, dass es sich um identische Leistungen handelt, die von der Beklagten in den Räumlichkeiten der Praxis sowie in ihrem Hauptbetrieb erbracht werden. Für die zweite Variante fehlt es an der wirtschaftlichen Verbundenheit zwischen Handwerksbetrieb und Arztpraxis. Trotz der wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Hauptbetrieb und losgelöst von der übrigen inneren Organisation oder der Ausstattung der Räumlichkeiten in der Praxis, ist nach Auffassung des BGH vielmehr eine Zweigstelle und damit ein Handwerksbetrieb im Sinne von § 1 Abs. 2 HWO anzunehmen – wenn dort wesentliche Tätigkeiten des Orthopädietechnikerhandwerks erbracht werden. Dies wird das OLG Nürnberg für den konkreten Fall nun noch einmal zu prüfen haben. Die zuständige Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz war in einer Auskunft aus dem Jahr 2013 von einer vollhandwerklichen Tätigkeit der Beklagten in den Räumlichkeiten innerhalb der Praxis ausgegangen.
Zu dem Verstoß gegen die Vorgaben der Berufsordnung für Ärztinnen und Ärzte hat der BGH – neben seinen Ausführungen zur Bestimmtheit des gestellten Unterlassungsantrages – im Wesentlichen zwei Dinge festgestellt: Zunächst reicht es für einen Verstoß gegen das ärztliche Empfehlungsverbot des § 31 Abs. 2 BayBOÄ bereits aus, wenn der Arzt dem Patienten von sich aus einen Erbringer gesundheitlicher Leistungen nahelegt oder empfiehlt, ohne dass dafür ein hinreichender Grund vorliegt. Eine solche Empfehlung im Sinne der Vorschrift hat der Arzt im konkreten Fall durch Überlassen der Räumlichkeiten und Duldung von Hinweisschildern – pauschal und damit ohne hinreichenden Grund – ausgesprochen. Das Sanitätshaus, das selbst nicht Adressat der berufsrechtlichen Vorgaben für Ärzte ist, kann als Teilnehmer, also als Anstifter oder Gehilfe, an diesem Verstoß haften. Das OLG Nürnberg wird Feststellungen dazu zu treffen haben, ob von dem dafür erforderlichen Vorsatz auszugehen ist.
Der BGH hat mit seiner Entscheidung erneut deutlich gemacht, dass eine Zusammenarbeit von Leistungserbringern und Ärzten nur innerhalb gewisser rechtlicher Grenzen zulässig ist. Eine solche Kooperation darf zunächst nicht dadurch übervorteilt werden, dass das Gebot der Meisterpräsenz für vollhandwerkliche Leistungen, die ein Betrieb in Räumlichkeiten erbringt, die von und innerhalb einer Facharztpraxis zur Verfügung gestellt werden, nicht gilt. Wird innerhalb der Praxis mit Schildern auf die Räumlichkeiten des Leistungserbringers hingewiesen, stellt dies einen Verstoß gegen das in den ärztlichen Berufsordnungen normierte Empfehlungsverbot dar. Hinsichtlich dieses Verstoßes kann bei Vorsatz auch der Leistungserbringer als Anstifter oder Teilnehmer haften.
Weiterführende Informationen
Zur Tätigkeit der Wettbewerbszentrale im Bereich Gesundheitshandwerk >>
Aus der Mitgliederdatenbank der Wettbewerbszentrale (Login erforderlich): News der Wettbewerbszentrale vom 01.08.2013 // Meisterpräsenz im Gesundheitshandwerk – BGH lockert Anforderungen >>
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