Vereinbarkeit des Pflichttextes mit EU-Recht
In einem jüngst veröffentlichten Urteil vom Oktober vergangenen Jahres hat sich der Bundesgerichtshof zur Vereinbarkeit des heilmittelwerberechtlichen Pflichthinweises „Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“ mit Verfassungsrecht sowie vorrangig anzuwendendem Gemeinschaftsrecht geäußert (Bundesgerichtshof, Urteil vom 09. Oktober 2008, Az. I ZR 100/04).
In dem zugrunde liegenden Fall hatte ein Reformhaus einen Artischockensaft vertrieben. In der Gebrauchsinformation dieses Produktes, eines freiverkäuflichen Arzneimittels, wurde auf die Möglichkeit einer Allergie sowie auf die Notwendigkeit einer vorherigen Rücksprache mit dem Arzt bei Verschluss der Gallenwege oder Vorhandensein von Gallensteinen hingewiesen. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 4 Abs. 3 Satz 1 und 4 Heilmittelwerbegesetz (HWG) ist in diesen Fällen der Pflichthinweis „Zu Risiken und Nebenwirkungen …“ vorgeschrieben. Diesen hatte das Reformhaus in der Werbung weggelassen und war daraufhin von dem Kläger auf Unterlassung in Anspruch genommen worden. Zur Verteidigung trug die Beklagte u. a. vor, dass die genannte Vorschrift gegen die Humanarzneimittelrichtlinie (2001/83/EG) verstoße, da der nach dem HWG geforderte Pflichthinweis in der Richtlinie nicht vorgesehen sei.
Der BGH ist dieser Auffassung nicht gefolgt. Er verwies darauf, dass der Europäische Gerichtshof zwar ausgesprochen habe, dass die Arzneimittelwerbung mit der Richtlinie vollständig harmonisiert worden sei (vgl. News vom 08.11.2007 „Europäischer Gerichtshof: Vollharmonisierung im Bereich Arzneimittelwerbung – Vorschriften des Heilmittelwerbegesetzes sind richtlinienkonform auszulegen“ >>). Er stellte jedoch gleichzeitig fest, dass Artikel 89, Abs. 1b der Richtlinie nicht abschließend aufführe, welche Angaben die Öffentlichkeitswerbung für ein Arzneimittel enthalten muss, den Mitgliedsstaaten also insoweit ein Spielraum verbleibe.
Der BGH betonte weiter, dass die im Heilmittelwerbegesetz enthaltene Regelung nicht gegen das Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit verstoße. Im Hinblick darauf, dass es sich bei dem beworbenen Produkt um ein Arzneimittel mit bestimmten Gegenanzeigen handelt, sah der BGH den Gesundheitsschutz hier als grundsätzlich vorrangig an. Der bekannte Hinweis „Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“ wird auch weiterhin fester Bestandteil der deutschen Arzneimittelwerbung bleiben.
Meinungsfreiheit vor Werbeverboten des HWG vorrangig
In einer weiteren, bisher noch nicht veröffentlichten Entscheidung gab der Bundesgerichtshof dagegen der Meinungsäußerungsfreiheit eines Unternehmens den Vorrang vor den Werbeverboten des Heilmittelwerbegesetzes. Das Unternehmen hat es abgelehnt, für ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel den Abgabepreis auf den von den Krankenkassen zu erstattenden Festbetrag abzusenken. Auf die daraufhin folgende negative Reaktion in der Presse reagierte das Unternehmen mit einer ganzseitigen Zeitungsanzeige, in der es zu der Diskussion unter Nennung des verschreibungspflichtigen Arzneimittels Stellung nahm. In diesen Fällen, so der Bundesgerichtshof, sei eine unzulässige Publikumswerbung nach § 10 Heilmittelwerbegesetz im Hinblick auf das Recht der Beklagten auf Meinungsfreiheit zu verneinen. Dagegen hätte es aber auch in dieser Anzeige des Pflichttextes nach § 4 Abs. 3 Satz 1 HWG bedurft (Bundesgerichtshof, Urteil vom 26. März 2009, Az. I ZR 213/06).
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