Ein Anwalt hatte in einem Filialbetrieb eines internationalen Autoglaskonzerns einen Steinschlag in der Windschutzscheibe des Firmenfahrzeuges seiner Kanzlei reparieren lassen. Bei der telefonischen Vereinbarung des Reparaturtermins hatte er seine Handynummer „für den Fall der Fälle“ angegeben. Kurze Zeit nach Abwicklung des Auftrages erfolgt der Anruf eines Marktforschungsinstituts, ansässig in London, das von dem Autoglaskonzern beauftragt worden war, die Zufriedenheit des Kunden mit der Abwicklung des Auftrages zu „erforschen“. Da der Anwalt in die telefonische Kontaktaufnahme zu Werbezwecken nicht eingewilligt hatte, mahnte die Wettbewerbszentrale wegen unlauterer Telefonwerbung ab. Der Autoglaskonzern berief sich darauf, dass keine Werbung vorliege. Die Befragung werde anonym nach den Regeln der neutralen Marktforschung durchgeführt. Er könne die Antworten keinem Kunden zuordnen und gezielt verwenden, um ihm gegenüber zu werben. Die Telefonate dienten allein Forschungszwecken.
Da das Hinterlassen einer Telefonnummer „für den Fall der Fälle“ selbst für eine mutmaßliche Einwilligung in einen Anruf zu Ermittlung der Kundenzufriedenheit nicht ausreicht, untersagte das LG Köln mit Urteil vom 24.08.2011 dem Autoglaskonzern, gewerbliche Kunden im Anschluss an die Abwicklung eines Auftrages anzurufen und/oder anrufen zu lassen, um sich nach deren Zufriedenheit mit der Abwicklung des Auftrages zu erkundigen, wenn der Angerufene kein Einverständnis mit einem solchen Anruf erklärt habe (Az. 84 O 52/11).
Mit Urteil vom 30.03.2012 wies das OLG Köln die vom Autokonzern eingelegte Berufung zurück (Az. 6 U 191/11).
Durch die Einschaltung eines Marktforschungsinstitutes werde das Telefonat nicht zur neutralen Marktforschung. Auch dann nicht, wenn die Berufsstandsregeln für Markt- und Sozialforschung, das Anonymisierungsprinzip und die einschlägigen Datenschutzbestimmungen beachtet werden. Es liege eine geschäftliche Handlung i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG vor, da das Marktforschungsinstitut vom Autoglaskonzern mit der Erhebung der Daten zwecks Auswertung beauftragt worden sei, ob und wie zufrieden die Kunden mit dem Service der Konzernfilialen seien. Einer subjektiven Wettbewerbsförderungsabsicht bedürfe es nicht mehr. Ein objektiver Zusammenhang reiche aus. Durch die Antworten der Kunden erhalte der Autoglaskonzern Informationen, die es ermöglichen, etwaige Schwächen in der bisherigen Auftragsabwicklung zu ermitteln und abstellen zu können und so den Service kundengerecht zu optimieren.
Nachfragen zu Kundenzufriedenheit mit der Abwicklung eines Auftrages seien auch Werbung i.S.v. § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG. Zur Definition des Begriffes bezieht sich das Gericht auf Art. 2 Nr. 1 der Werberichtlinie (= Richtlinie 2006/114/EG):
„… jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder … zu fördern“.
Den werbenden Charakter des beanstandeten Anrufs begründet das Gericht damit, dass der Kunde zwangsläufig erkenne, dass es bei dem Anruf um ihn gehe, nämlich seine Zufriedenheit mit der Abwicklung des Auftrages durch den Filialbetrieb. Dadurch werde ihm durch den Anruf der Eindruck vermittelt, dass der Autoglaskonzern sich weiter, d.h. noch nach Abschluss des Geschäftes, um ihn bemühe. Das Argument, dass ein Autobesitzer statistisch nur etwa alle zehn Jahre eine Steinschlagreparatur durchführen lasse, habe darauf keinen Einfluss. Statistische Aussagen bezögen sich lediglich auf die durchschnittliche Häufigkeit eines solchen Schadens. Sie ließen aber nicht den Schluss zu, dass ein jetzt betroffener Kunde einen weiteren Schaden erst dann erleide, wenn er den Anruf bereits vergessen habe. Zu berücksichtigen sei auch, dass der Anruf geeignet sei, um den Kunden zu einer Weiterempfehlung des Autokonzerns an Dritte zu veranlassen: „Ich bin gut behandelt worden und man hat sogar nachträglich gefragt, ob ich zufrieden war.“
Eine Vorlage an den EuGH wurde abgelehnt. Nach Auffassung des Gerichts gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG europarechtswidrig ist.
Nach Nr. 26 der Blacklist zur UGP-RL 2005/29/EG sei eine per se unlautere Geschäftspraktik zwar nur für den Fall gegeben, dass Kunden durch „hartnäckiges“ unerwünschtes Ansprechen über Telefon, Fax, E-Mail usw. geworben werden sollen. § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG ist also strenger, da auf das Merkmal „hartnäckig“ verzichtet wird. Dennoch verstoße § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG nicht gegen EU-Recht, da durch Nr. 26 der Blacklist zur UGP-RL 2005/29/EG der Art. 13 Abs. 3 der Richtlinie 2002/58/EG nicht eingeschränkt werden sollte. Art. 13 Abs. 3 der Richtlinie 2002/58/EG erlaube ausdrücklich eine nationale Regelung, nach der Telefonwerbung ohne die Einwilligung des Angerufenen verboten ist
und setze dafür einen hartnäckigen Verstoß nicht voraus.
Auch verstoße § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG nicht gegen das Prinzip des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs aus Artt. 34, 56 AEUV. Die nationale Regelung lasse sich mit zwingenden Gründen des Allgemeininteresses von Verbrauchern und Gewerbetreibenden zum Schutz vor unerwünschten Telefonanrufen rechtfertigen.
Schließlich stellte das Gericht noch fest, dass genauso entschieden worden wäre, wäre der Anruf gegenüber einem Verbraucher erfolgt.
Die Revision zum BGH wurde zugelassen.
M 3 00515/09
Weiterführende Hinweise
vgl. auch OLG Köln, Urteil vom 12.12.2008, Az. 6 U 41/08 >>
Es ist Telefonwerbung i.S.v. § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG, wenn sich ein Demoskopie-Institut telefonisch an Verbraucher wendet, um im Auftrag einer Bank die Zufriedenheit des Kunden mit den Leistungen der Bank zu ermitteln.
Wettbewerbszentrale
Die Wettbewerbszentrale ist die größte und einflussreichste Selbstkontrollinstitution für fairen Wettbewerb. Als branchenübergreifende und unabhängige Institution der deutschen Wirtschaft unterstützt sie den Gesetzgeber als neutraler Ratgeber bei der Gestaltung des Rechtsrahmens für den Wettbewerb, bietet umfassende Informationsdienstleistungen rund um das Wettbewerbsrecht, berät ihre Mitglieder in allen rechtlichen Fragen des Wettbewerbs und setzt als Hüter des Wettbewerbs die Spielregeln im Markt – notfalls per Gericht – durch. Getragen wird die gemeinnützige Organisation von mehr als 1.200 Unternehmen und über 600 Kammern und Verbänden der Wirtschaft.
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