Zu ihrer jährlichen Jahrestagung und -versammlung trafen sich die Mitglieder der Wettbewerbszentrale (WBZ) am 28./29.04.2015 in Bad Homburg. Der Schwerpunkt der öffentlichen Vortragsveranstaltung war die „Digitalisierung und deren Auswirkungen für den Wettbewerb“.
In seiner Begrüßungsansprache betonte der Präsident der Wettbewerbszentrale, Friedrich Neukirch, die maßgebliche Bedeutung der Digitalisierung für den Wettbewerb. Er zeigte sich überzeugt, dass sich niemand der digitalen Entwicklung werde entziehen können. Vor diesem Hintergrund sei es wichtig, diesen zunehmend und unausweichlich digitalisierten Wettbewerb mit zu gestalten. Die gelte auch für die Rechtsordnung, die sich vielen neuen Fragen und Herausforderungen stellen müsse. Er begrüßte deshalb sehr, dass Herr Staatssekretär Gerd Billen aus dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz bereit war, diese Herausforderungen aus Sicht der Bundesregierung näher zu beleuchten.
Staatssekretär Billen stellte in seinem Vortrag die „Herausforderungen der Digitalisierung für eine moderne Wettbewerbspolitik“ dar. Er griff viele der aktuellen Fragen und Problemkreise auf, wie etwa den Datenschutz, die Datensicherheit, das Verbrauchervertragsrecht in der digitalen Welt aber auch die sich durch die Verarbeitung riesiger Datenmengen in Echtzeit Werbung, Vertrieb und die Durchdringung der realen Welt mit virtuellen Tools für den Einzelnen und die Gesellschaft verändert.
Billen verwies zu Beginn seiner Ausführungen auf die Erfolgsgeschichte der zivilgerichtlichen Durchsetzung des Lauterkeitsrechts, wie diese in Deutschland auch von der Wettbewerbszentrale betrieben werde. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) setze sich, so der Staatssekretär, in Europa dafür ein, diese in der bisherigen Form zu erhalten. Man müsse aber über die Ergänzung durch andere Wege nachdenken – auch im Zusammenhang mit der voranschreitenden Digitalisierung. Das BMJV beschäftige sich rund um „das Wachstumsthema Nr. 1“ insbesondere mit Fragen zur Datensicherheit, zum Grundrecht des einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung sowie zu einer möglichen Eindämmung von Machtmissbrauch und Manipulationen im Netz. Weitere Themen seien die sich ändernde Rolle des Verbrauchers, der in der digitalen Welt zum Nutzer und Coproduzenten werde, sowie die Medienkompetenz. Diese sei unbedingt erforderlich, um die Chancen, die die Digitalisierung grundsätzlich biete, auch nutzen zu können. Dabei konnte Billen dem Auditorium versichern, dass die Bundesregierung sich mit all diesen Fragen völlig ergebnisoffen befasse.
Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht, Prof. Dr. Udo Di Fabio befasste sich in seinem anschließenden Vortrag mit dem „Wettbewerb im Netz“. Mit einer ungeheuren intellektuellen Weitsicht und sprachlichen Dynamik stellte er die bisherige Herangehensweise staatlichen und gerichtlichen Ordnens des Wettbewerbs im Internet in Frage – nicht kontradiktorisch zum Vortrag des Staatssekretärs für Verbraucherschutz, wie Di Fabio betonte, sondern eher in vielem zustimmend und darüber hinaus den Blick wieder erweiternd auf die großen Linien der Entwicklung und auch der Vermachtung im Internet.
Di Fabio leitete seinen Vortrag mit der Feststellung ein, dass ein gesellschaftspolitischer Diskurs notwendig sei. Man müsse sich in Europa die Frage stellen, wie man mit den Veränderungen, die die Digitalisierung für die Wirtschaft, aber auch für den Lebensalltag jedes einzelnen mit sich bringe, umgehen will. Das Recht als sichere Erwartung sei, so Prof. Dr. Dr. Di Fabio, mit den Mitteln des tradierten Wettbewerbsrechts im Netz kaum machbar. Die dort angebotene neue und allumfassende „Transparenz“ sei vielfach selbst manipuliert und die „Herstellung dieser Transparenz“ selbst vollkommen intransparent: niemand wisse, wie der Algorithmus Suchergebnisse hervorbringe, niemand wisse auch, wie die Bewertungen in den zahlreichen Vergleichsportalen in Wirklichkeit zustande kommen. Der Staat müsse sich überlegen, ob seine Idee vom Verbraucherschutz in der Realwirtschaft auf die digitale Welt übertragbar sei oder ob der Verbraucher eine Mitverantwortung übernehmen müsse. Auf jeden Fall sei die Medien- bzw. Internetkompetenz eine grundlegende Voraussetzung, um mit Problemen wie mangelnder Selbstbestimmung oder fehlender Transparenz umgehen zu können. Prof. Dr. Dr. Di Fabio schloss seinen Vortrag mit dem Aufruf, sich des Themas Digitalisierung trotzdem mit mehr Innovationswillen anzunehmen. Die Diskussion um die notwendigen Regeln für die digitale Welt müsse kritisch, dürfe aber nicht technikfeindlich geführt werden.
Die nächste Jahrestagung der Wettbewerbszentrale findet statt am 3. und 4. Mai 2016 in Köln.
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