Die Weigerung eines Pharmaunternehmens alle Bestellungen seiner Kunden auszuführen, um den Parallelhandel zu begrenzen, stellt nicht ohne weiteres einen Missbrauch einer beherrschenden Stellung dar.
Ein solches Verhalten ist nicht als missbräuchlich anzusehen, wenn die Preisunterschiede für Arzneimittel zwischen den Mitgliedstaaten das Ergebnis staatlicher Eingriffe sind und auf dem europäischen Arzneimittelmarkt besondere Gegebenheiten herrschen.
Glaxosmithkline (im Folgenden: GSK), ein Pharmaunternehmen, beliefert die Beschwerdeführer, bei denen es sich um Arzneimittelgroßhändler handelt, über sein griechisches Tochterunternehmen mit seinen Erzeugnissen. Bis November 2000 führte GSK sämtliche von den Großhändlern aufgegebenen Bestellungen aus. Die Großhändler exportierten anschließend einen großen Teil der bestellten Erzeugnisse in andere Mitgliedstaaten, in denen die Preise wesentlich höher waren. Nach November 2000 jedoch stellte GSK die Lieferungen an die Großhändler ein und erklärte, dass es Krankenhäuser und Apotheken direkt beliefern werde, wobei es behauptete, dass die Ausfuhr der Erzeugnisse zu Versorgungsmängeln auf dem griechischen Markt führe. Später nahm GSK die Belieferung der Großhändler wieder auf, aber nur in beschränktem Umfang.
Die Großhändler reichten bei der griechischen Wettbewerbskommission gegen diese Weigerung, ihre Bestellungen auszuführen, Beschwerde ein. Im Anschluss an Sicherungsmaßnahmen, die die Wettbewerbskommission erließ, führte die griechische Tochtergesellschaft die Bestellungen der Großhändler in dem Umfang aus, in dem sie selbst von GSK beliefert wurde. Dies reichte aus, um die Nachfrage auf dem griechischen Inlandsmarkt zu decken, genügte aber nicht für die viel umfangreicheren Bestellungen der Großhändler.
Die Wettbewerbskommission hat festgestellt, dass die Preise für Arzneimittel vom jeweiligen Mitgliedstaat festgesetzt werden und dass diejenigen in Griechenland durchgehend am niedrigsten sind. Aufgrund der Tatsache, dass GSK bei mindestens einem der streitigen Erzeugnisse, Lamictal (einem Antiepileptikum), eine beherrschende Bestellung besitzt, hat die Wettbewerbskommission den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gefragt, ob sich ein marktbeherrschendes Pharmaunternehmen weigern darf, die bei ihm eingehenden Bestellungen von Großhändlern umfassend auszuführen, um den Parallelhandel zu begrenzen, und, wenn ja, unter welchen Umständen. Generalanwalt Jacobs weist darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ein marktbeherrschendes Unternehmen verpflichtet sein kann, seine Erzeugnisse zu liefern oder seine Dienstleistungen zu erbringen, dass dies aber nur unter außergewöhnlichen Umständen gilt. Das wäre der Fall, so der Generalanwalt, wenn eine Lieferverweigerung den Wettbewerb auf einem nachgelagerten Markt oder auf dem Rohstoffmarkt schwerwiegend stören würde. Ein marktbeherrschendes Unternehmen ist jedoch nicht verpflichtet, Bestellungen außerhalb des normalen Rahmens auszuführen, und es ist berechtigt, angemessene Schritte zum Schutze seiner geschäftlichen Interessen zu ergreifen. Darüber hinaus bemerkt der Generalanwalt, dass die Kriterien für die Feststellung, ob ein Verhalten missbräuchlich ist, in hohem Maße von dem besonderen wirtschaftlichen und rechtlichen Hintergrund des Einzelfalls abhängen.
Deshalb ist Generalanwalt Jacobs der Ansicht, dass eine Lieferbeschränkung nicht ohne weiteres einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung darstellt, nur weil das marktbeherrschende Unternehmen beabsichtigt, den Parallelhandel zu begrenzen.
Bei der Prüfung, ob ein solches Verhalten in der pharmazeutischen Industrie einen Missbrauch darstellt, sind nach Auffassung des Generalanwalts eine Reihe von Faktoren zu berücksichtigen.
Erstens stellt der Generalanwalt fest, dass es die durch staatliche Eingriffe in den Arzneimittelmarkt geschaffenen Preisunterschiede sind, die die Gelegenheit zum Parallelhandel eröffnen. Gepaart mit dem hohen Grad an Regulierung des Arzneimittelmarkts durch die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten bedeutet dies, dass auf diesem Markt keine normalen Wettbewerbsbedingungen herrschen. Von einem marktbeherrschenden Pharmaunternehmen die Ausführung aller bei ihm aufgegebenen Ausfuhrbestellungen zu verlangen, wäre in vielen Fällen insbesondere angesichts seiner moralischen und rechtlichen Verpflichtung, in allen Mitgliedstaaten Bestände bereitzuhalten, eine unverhältnismäßige Belastung.
Zweitens führt Generalanwalt Jacobs aus, aufgrund der wirtschaftlichen Besonderheiten des Sektors würde eine Lieferpflicht nicht zwingend den freien Verkehr oder den Wettbewerb fördern und könnte dem Anreiz für Pharmaunternehmen, innovativ tätig zu werden, sogar abträglich sein.
Drittens bringt der Parallelhandel dem Verbraucher oder dem Mitgliedstaat als Hauptabnehmer nicht in jedem Fall Vorteile. Generalanwalt Jacobs weist darauf hin, dass unter bestimmten Umständen nur die an der Vertriebskette Beteiligten einen Vorteil erlangen, mit der Folge, dass einige Mitgliedstaaten .Erstattungs.-Regelungen erlassen haben, um einen Teil des Gewinns wiederzuerlangen.
Schließlich betont der Generalanwalt, dass sich seine Schlussfolgerungen ganz speziell auf die pharmazeutische Industrie in ihrer derzeitigen Lage und auf die Streitfrage in diesem speziellen Fall beziehen. In dieser Hinsicht legt er Nachdruck darauf, dass das Verhalten eines marktbeherrschenden Pharmaunternehmens, durch das der Binnenmarkt deutlicher und unmittelbarer aufgeteilt wird oder das nachteilige Folgen für den Wettbewerb hat, die nicht aus der Begrenzung des Parallelhandels herrühren, immer noch als missbräuchlich angesehen werden könnte.
Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-53/03
Quelle: Pressemitteilung des Gerichtshofs der europäischen Gemeinschaften vom 28.10.2004
Weiterführende Links zu diesem Thema
Schlussanträge des Generalanwalts vom 28. Oktober 2004 in der Rechtssache C-53/03
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